Sonntag, 18. September 2011

Köter und Greis


Es regnet. Eine Armada aus schweren Tropfen fällt auf Berlin. Es werden Regenschirme aufgespannt und die Menschen laufen mit gesenktem Haupt den stürmischen Böen entgegen. Alle kämpfen auf ihre Weise gegen den Regenschauer und jeder ist auf sich allein gestellt. Ich beobachte wie sich eine alte Frau auf dem Trottoir entlang kämpft. Ich würde sie auf mindestens 80 schätzen, aber ich bin im Schätzen recht schlecht, deswegen gebe ich ihr einfach das Attribut vergreist. Auf einen Stock gestützt bahnt sie sich ihren Weg gegen das Wetter, Schritt für Schritt. Bei ihr besonders hart entgegen schlagenden Winden pausiert sie für einen kurzen Moment und hält die Hand vor ihr mit tiefen Furchen durchzogenes Gesicht. Es ist so als würde allein schon ihr Äußeres Geschichten von den vielen Jahrzehnten, die sie durchlebt hat, erzählen, ohne dass sie den Mund öffnen müsste. Menschen eilen an ihr vorbei und die Frau kämpft mit verbissenen Gesichtsausdruck ihren einsamen Kampf.
Ein Hund kommt auf sie zu gelaufen. Mit wedelnden Schwanz und nicht im geringsten durch das Wetter negativ beeinflusst, beschnüffelt er die Frau samt ihres Gehstockes. Ihre Gesichtszüge ändern sich auf der Stelle und freudestrahlend beginnt sie auf den kleinen Vierbeiner einzureden. „Na du bist aber ein Süßer“ Wie so eine simple Begegnung mit einem kleinen Terrier einem doch den Tag versüßen kann. „Na du kleiner Racker“ Gewitter, die Schmerzen in den Gelenken oder der noch vor ihr liegende lange Weg, alles ist auf einmal vergessen. „Ein ganz Feiner bist du“ Besonders scheint sich das Fellknäul für den Gehstock der alten Dame zu interessieren. „Na wie heißt du denn?“ Schnüffelnd umkreist er den Stock ein paar Mal. „Na wo ist denn dein Herrchen?“ Bis er schließlich stehen bleibt und sich einen kurzen Moment umschaut. „So ein lieber Hund bist du“ Dann hebt er das Bein, pisst der Frau an den Gehstock und verschwindet.

Da hab ich mir so gedacht: Das Leben ist manchmal ein ganz schönes Arschloch.

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